Das Training der Beckenboden-Muskeln ist schon seit Jahrtausenden überliefert: In China in der Lehre des Qigong als Kräftigung des unteren Dantians oder mit dem Verwenden von Yoni-Eiern, in Ägypten mit Sexualpraktiken wie dem „Griff der Kleopatra“ und im indischen Raum mit dem Mula Bandha aus dem Yoga.
In der medizinischen Literatur ist ein Beckenbodentraining zum ersten Mal 1948 in einer amerikanischen Fachzeitschrift beschrieben worden. Der Autor dieses Artikels war der amerikanische Gynäkologe Dr. Arnold Kegel. Damals stellte er dem Fach-Publikum ein Training vor, durch das Frauen ihre Beckenbodenmuskulatur über ein eingeführtes „Perineometer“ gezielt trainieren konnten.
Das Perineometer war eine Art Gummibeschichteter Zylinder von ca. 8 cm Länge, den die Frauen in ihre Vagina einführten. Dieser Zylinder war über einen Schlauch mit einem Manometer verbunden (stellen Sie sich das vor wie bei einem Blutdruckgerät), so dass die Frauen sehen konnten, ob die Anspannung ihrer vaginalen Muskeln den Druck erhöht.
Diese Konstruktion war sozusagen der Vorläufer unserer heutigen modernen, häufig elektrischen Biofeedback-Geräte, die es größtenteils auch freiverkäuflich auf dem Markt gibt oder auch von den Krankenkassen bezahlt werden.
Dr. Kegel fand in seiner Studie heraus, dass Frauen mit einer Urininkontinenz viel weniger Druck aufbauen konnten als gesunde Frauen und verordnete ihnen deshalb ein Training mit seinen „Kegel-Übungen“, die auch heute noch sehr bekannt sind und besonders in den U.S.A. viel praktiziert werden.
In der medizinischen Versorgung in Deutschland war es lange Zeit so, dass Patientinnen auch zu Kegelübungen geraten wurde und/oder sie einen Zettel mit – aus heutiger Sicht- relativ unspezifischen Übungen in die Hand gedrückt bekamen.
In den 80er Jahren entwickelte der Deutsche Pharmakologe W.Schmidt von Rohrscheidt Vaginalkonen, die 1990 auf den Markt kamen (Femcon®-Konen): Gewichte unterschiedlicher Schwere, die in die Vagina eingeführt wurden und mit den Muskeln gehalten werden mussten, also eine Art „Gewichtstraining“.
Die Wirksamkeit dieser Konen wurde (nicht nur in Deutschland) immer wieder überprüft.
In der Physiotherapie, dem Beruf, der sich am meisten um die Muskulatur der Patient*innen kümmert, wurde der Beckenboden erst in den 80er/90er Jahren immer mehr beachtet.
Zunächst überlegten die Fachfrauen wie der Beckenboden unter der Geburt bestmöglich geschont werden könnte, um sich im 2.Schritt auch um ein sinnvolles Muskeltraining zu kümmern.
Im Jahr 1995 gründete sich aus dieser Arbeit heraus die Arbeitsgemeinschaft AG-GGUP: eine spezielle Gemeinschaft von interessierten Physiotherapeutinnen im Zentralverband der Physiotherapie.
Im Jahr 2004 fand dann die 1.Fortbildung in Deutschland statt, in der PT´s (wie es im Ausland schon länger üblich war) lernten, den Beckenboden zu untersuchen, eine logische Konsequenz nach dem Motto: „Erst der Befund, dann die Therapie“.
War es doch vorher nie klar gewesen, was die Patientinnen eigentlich hatten:
Einen gut funktionierenden Beckenboden? Einen schwachen Beckenboden? Zu wenig Kraft? Druck nach unten beim Anspannen?
Oder was wir damals noch gar nicht wussten: womöglich sogar zu viel Anspannung und zu wenig Entspannung?
Warum erzähle ich Ihnen das?
Um Ihnen zu verdeutlichen, dass wir es mit der gezielten Beckenboden-Physiotherapie noch mit einer sehr jungen Disziplin zu tun haben und sich ja erst aus diesen Erfahrungen heraus ein sinnvolles Beckenbodentraining ableiten konnte.
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst einen Blick auf die Beckenbodenmuskulatur an sich werfen:
Die Beckenbodenmuskeln schließen unseren Beckenraum nach unten hin ab.
Diese Muskeln sind verwoben mit Bindegewebe, das dem Beckenboden dadurch mehr Stabilität bietet (Hier sind besonders die Faszien erwähnenswert, die sich wie ein gitterartiges Netzsystem durch den Beckenboden ziehen). Und das ist schon die erste Aussage, die für das Beckenbodentraining wichtig ist: Wir müssen nicht nur die Muskeln kräftigen oder entspannen, sondern uns auch um das Bindegewebe und hier insbesondere um die Faszien kümmern.
Bleiben wir zunächst aber bei den Beckenbodenmuskeln:
Ganz außen haben wir die Schließmuskulatur, also die Muskulatur, die unsere Körperöffnungen nach außen hin abschließt.
Vorne der Muskel um die Harnröhre herum:
Ein schnürender Muskel, der sich zur richtigen Zeit öffnen und schließen muss (M.sphincter urethrae ext.)
Dann in der Mitte die schnürende sogenannte „orgastische Manschette“ um die Vagina herum (M.Bulbospongiosus), die sich in der Sexualität und bei der Geburt weiten darf und aber auch in der Sexualität für ein aktives Liebesspiel an- und entspannen können sollte und bei einem Orgasmus rhythmisch pulsiert.
Und hinten haben wir den Afterschnürmuskel (M. sphincter ani externus), der zur richtigen Zeit Blähungen und Stuhlgang zurückhalten sollte und sich für Stuhlgang und dem kontrollierten Absetzen von Blähungen öffnen können muss.
Weiter innen zwischen den Sitzknochen liegend haben wir quere Muskeln ( Mm. Transversus superficialis/profundus) und Faszien. Ganz innen haben wir die entscheidende Muskelschicht, die für den Halt der Organe zuständig ist: Den M. levator ani mit seinen 3 Anteilen, der leider unter Geburten häufig sehr leidet, weil er eine extreme Dehnung und häufig sogar eine Verletzung erfährt.
Und schon durch das Lesen dieser letzten Zeilen werden Sie verstehen, warum es aus physiotherapeutischer Sicht keinen Sinn macht, den Beckenboden ausschließlich mit Konen oder eingeführten Biofeedback-Geräten zu trainieren. Trainieren wir doch mit diesen Geräten ausschließlich die Vagina-verengende Muskulatur, die wir aber eigentlich nur brauchen, wenn wir das Gefühl für die Vagina verloren haben. Und bei dieser Muskulatur geht häufig die Entspannung völlig verloren, die fast wichtiger ist als die Anspannung. Ein Fakt, den wir aber erst kennen, seitdem wir PT`s auch untersuchen…. Daraus ableitend können wir also sagen:
Wir brauchen zum einen Übungen für die Schließmuskeln als auch zum anderen Übungen, die sowohl die Faszien als auch die organtragende Muskulatur beeinflussen.
Und mindestens ebenso wichtig: Der Beckenboden hängt extrem stark mit der Hüft-Muskulatur zusammen. So hängt ein ganzer Teil des Beckenbodens an einem Muskel, der die Hüfte nach außen dreht… (M.obturatorius internus). Also müssen wir uns auch um diesen Hüftmuskel ( und seine Mit-und Gegenspieler) im Training kümmern, denn er liefert ja sozusagen „ den Halt“ für eine gut aufgehängte Beckenbodenmuskulatur.
Aber, und nun muss ich es richtig kompliziert machen… das war’s noch nicht… :)
Wir brauchen außerdem auch noch gut funktionierende Bauch- und Rückenmuskeln, damit der Bauchraum-Druck von allen Seiten gleichmäßig stabil gehalten wird. In der Funktion müssen Sie sich das folgendermaßen vorstellen: Wenn wir beispielsweise niesen, kommt von oben eine gewaltige Druckwelle im Bauchraum an und diese Druckwelle wird, wenn wir gesund sind, mit einer Gegenspannung der Bauch,- Rücken und Beckenbodenmuskeln beantwortet. Und diese Gegenspannung muss zu allem Übel auch noch zum richtigen Zeitpunkt und mit der richtigen Kraft aufgebaut werden.
Anhand der Abbildung können Sie sich das gut vorstellen:
Auf der linken Seite sehen Sie gesund reagierende Muskeln und auf der rechten Seite sehen Sie, dass die Muskulatur nicht mit der nötigen Gegen-Spannung antwortet, so dass der Druck in diesem Fall übermäßig im vorderen Bauch ( Sitz von Gebärmutter und Blase) und im Beckenboden ankommt. Das Prinzip gilt natürlich nicht nur beim Niesen, sondern auch bei anderen Bewegungen wie beim Heben einer Kiste, bei Sit-ups oder bei Stemmen von Gewichten. Die ganze Zeit arbeiten Beckenboden, Bauch und Rückenmuskeln im Team.
Wobei wir auch schon beim harten Alltag des Beckenbodens wären: dieser zarten, kleinen Struktur zwischen unseren Beinen. Die den ganzen Tag gegenhalten muss und auf unterschiedlichste Weise beansprucht wird:
Und sie muss nicht nur mit der nötigen Kraft antworten, sondern diese Spannung muss auch koordiniert sein: Es braucht die genaue richtige Spannung, das so genannte „Pre-programming“, also auch noch zur richtigen Zeit und eventuell auch ganz schnell (z.B. beim Niesen).
Bedeutet: Wir müssen im Beckenbodentraining auch zwingend die Koordination trainieren und zusätzlich auch verschiedene Qualitäten der Anspannung: Langes beständiges Halten, was die große Anzahl der sogenannten „Slow twitch“- Muskelfasern im Beckenboden hergibt, versus schnelles blitzartiges Anspannen (die so genannten Fast twitch-fasern), die nur einen kleinen Teil des Beckenbodens ausmachen.
Können Sie noch folgen?
Es ist zugegebenermaßen echt kompliziert. Wie einfach ist doch so ein schöner Bizeps:)
Aber meine Ausführungen können Ihnen persönlich vielleicht auch eine Erklärung bieten, warum es mit dem Beckenbodentraining gar nicht so einfach ist und/oder, warum es vielleicht häufig nicht von Erfolg gekrönt wurde. Denn diese vielen unterschiedlichen Aspekte müssen in einem modernen Beckenbodentraining berücksichtigt werden. Und durch unsere nun inzwischen 21-jährige Untersuchungs-Erfahrung in der Praxis haben sich aus meiner Sicht 2 Sachen ganz klar herauskristallisiert:
Deshalb mein Vorschlag für jeden Frau, die ein Beckenbodentraining beginnen möchte: Gehen Sie zu einer Beckenbodenphysiotherapeutin und lassen sich einmal zeigen, wie Sie den Beckenboden anspannen sollten.
Oder testen Sie bei sich selbst vor dem Training, wie und ob Sie anspannen können: Frauen, in dem sie ein oder zwei Finger in die Vagina legen und spüren, wie und ob die Muskulatur um Ihre Finger herum zu schnürt und der Finger gleichzeitig auch Richtung Kopf hochgezogen wird.
Eine genauere Anleitung finden Sie in meinem 1. Buch: Mein Beckenboden Buch
Zum einen die aufrechte Haltung:
Nur in der aufrechten Haltung kann der Beckenboden mit seiner ganzen Fläche den Druck richtig abfangen. Zum Vorstellen: Setzen Sie sich mal ganz krumm hin und
versuchen den Beckenboden anzuspannen. Sie merken, dass Sie wahrscheinlich nur vorne die Spannung richtig spüren, genauso, wenn Sie mal so krumm husten, können Sie merken, dass der Druck ganz extrem im vorderen Beckenboden ankommt.
Es braucht also die aufrechte Haltung, um den Druck perfekt abfangen zu können.
Die muss man sich manchmal aber erst wieder erarbeiten, da bei vielen Menschen die Beckenbeweglichkeit zum Aufrichten eingeschränkt ist…
Zum andern unterstützt das Atmen den Beckenboden:
denn bei jedem Ein- und Ausatmen wird der Beckenboden durch eine Art Sogmechanismus über das Zwerchfell mitbewegt. Dabei wird der Beckenboden bei jedem Ausatmen mit hochgezogen, was natürlich äußerst hilfreich ist, wenn wir das im Training mit- berücksichtigen.
Puh…. Das waren jetzt viele Informationen : )
Da das Beckenbodentraining so viel Aspekte beinhaltet, kann das Training dadurch auch richtig abwechslungsreich sein und darf sogar Spaß machen :)
Und dafür empfehle ich Ihnen natürlich gerne unsere Online-Programme von Stabile Mitte, die genau so aufgebaut sind: Entweder das Beckenbodentraining bei Beckenbodenschwäche und Blasenschwäche oder unser ganz spezielles Beckenboden-Trainingsprogramm bei einer Organsenkung.
Und falls es eine Geburt / Geburten gab, bitte immer eine richtige Rückbildung zu machen, das ist die beste Vorsorge vor Blasenschwäche und Organsenkung.
Und wichtig für alle Frauen, die in oder nach den Wechseljahren (der Menopause) sind: In dieser Zeit hat unsere Muskulatur und auch das Bindegewebe leider die unschöne Eigenschaft, massiv abzubauen. So werden Probleme häufig erst in der Menopause sichtbar, die es vorher sicher auch schon gab, aber durch gute Muskulatur kompensiert wurden.
Also ran an das Beckenbodentraining :)
Lassen Sie sich von niemanden erzählen, dass Sie mit Symptomen wie Urinverlust beim Husten und Niesen, mit Organsenkungen, Pupsen beim Husten und weniger Trinken vor dem Stadtbummel leben müssen.
Nein, das müssen Sie nicht und Sie können etwas dagegen tun!
Und das fühlt sich richtig gut an, denn mit so einer stabilen Mitte steht Frau auch ganz anders im Leben.
Franziska Liesner © 2025